Ich suche regelmässig die Begegnung mit den Menschen in unseren Interventionsregionen. Im Laufe der Gespräche wundere ich mich immer wieder darüber, wie sehr die einheimische Bevölkerung vom Westen fasziniert ist. Das hat spürbare Auswirkungen auf unsere Tätigkeit.

Ein importiertes Modell

Seit der Kolonialisierung erleben wir eine Verwestlichung Afrikas. Die Vorstellung, die westlichen Gesellschaften seien in Sachen „Entwicklung” die Referenz, ist fest in den Köpfen verankert. Angesichts der Tatsache, dass in Afrika viele Entwicklungen in eine Sackgasse geraten sind, ist das paradox. Die Reproduktion eines vorgefertigten Gesellschaftsmodells ist zum Scheitern verurteilt, denn die Bevölkerung lässt sich nicht in fremde Wertesysteme pressen. Laut Felwine Sarr, einem senegalesischen Autor, hat das zur Folge, dass die einheimische Bevölkerung zerrissen wird zwischen einer Tradition, die sie nicht mehr wirklich kennt, und einer Moderne, die wie eine zerstörerische und entmenschlichende Kraft über sie hereinbricht. Da die afrikanischen Eliten des Westens die Gesellschaftsformen eins zu eins kopieren wollen, hat diese Art Zwangstransplantation Bestand. Die verschiedenen westlichen Einflusskanäle, zu denen auch manche Entwicklungsorganisationen gehören, unterstützen diese Dynamik noch zusätzlich.

Den Weg bestimmen

Es ist höchste Zeit, Gegensteuer zu geben. Die einheimische Bevölkerung muss sich die Zeit nehmen, um eine Auslegeordnung zu machen, zu experimentieren und den Weg zu wählen, den sie gehen möchte.

Sie muss sich auch entschieden gegen ein von aussen vorgegebenes Tempo wehren. Es gilt, sich von bestimmten übernommenen Vorstellungen zu lösen und damit aufzuhören, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Es gibt nicht nur ein „Entwicklungsmodell”! Denn wie Felwine Sarr meint, „ist das Leben eine Erfahrung und nicht eine Leistung.”

Eine Methode als Leitplanke

Die Vision von Nouvelle Planète ist es, den Zielgruppen die Möglichkeit zu geben, ihre „Entwicklung” selbst zu bestimmen. Unsere Aufgabe beschränkt sich also darauf, bei einem von der lokalen Bevölkerung initiierten Prozess als zeitweilige Wegbereiterin, Begleiterin und Vermittlerin zu fungieren. Unsere Unterstützung ist nur dann angebracht, wenn sie die Bemühungen der lokalen AkteurInnen ergänzt und die Massnahmen von diesen getragen werden. Die Bevölkerung, mit der ich Kontakt habe, braucht nichts aufzuholen. Sie muss Subjekt ihrer eigenen Geschichten sein. Wir müssen wachsam sein und beispielsweise die Obsession mancher Geldgeber, alles beziffern, bewerten und quantifizieren zu wollen, um die „Leistung” der Projekte zu beweisen, hinterfragen. Es ist an der Zeit, die angebliche Überlegenheit des Westens zu entmystifizieren und glaubwürdige und nachhaltige Alternativen zu finden.

Xavier Mühlethaler

Übersetzt von Marina Bentele